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FOER Jonathan Safran: Tiere Essen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010

KOLMER Lothar.   

Bei der Lektüre entsteht schnell der Eindruck: Übliche amerikanische Strick- und Schreibweise. Der Einstieg ist enorm personalisiert, angefangen mit den Kindheitserinnerungen an die Großmutter im besetzten Europa, bis hin zu seinem neugeborenen Sohn, der mit der Frage, was er zu essen bekommen sollte, die Motivation für das Buch lieferte. Diese standardisierte Verfertigungsweise mit seiner Schreibart zieht sich durchs ganze Buch - wenn gleich nicht verhehlt werden soll, dass dies einem breiteren Publikum leichteren Zugang verschafft. Zugleich ist natürlich auch der Identifikationsgrad mit dem Autor, bzw. dessen Sohn höher.

Das Buch bietet eine Mischung aus Sachinformation, zum Teil als Minilexikon, incl. solcher Begriffe wie Anthropomorphismus und Anthropozentrismus, die mit einer einfachen Definition (griechisch bleibt außen vor) fasslich erklärt werden. Dazu kommen Interviews, von Farmen oder Schlachthofarbeitern, deren Authentizität für Grauen bis Grausen beim Leser sorgen. Massentierhaltung wird als Erlebnisbericht eines Einstiegsversuchs in eine der großen amerikanischen Hühnerfarmen eingeleitet,  es folgt ein historischer Abriss von der Geschichte des Huhns bis zu deren heutiger maschineller Massentötung. In den 1940-iger Jahren kamen Sulfonamid und Antibiotika ins Hühnerfutter, ab 1950 wurden Hühner für die Fleisch- und die Eierproduktion speziell gezüchtet , zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 %, während seine Lebensdauer um 60 % verkürzt und der Futterbedarf um 57 % gesenkt wurde. Auf Grund dieser Fabrikhühner gingen die früheren Haustierrassen in Amerika stark zurück.

Während in den vergangenen 50 Jahren Preis um ein Eigenheim um 1.500 % gestiegen ist, bei Autos um 1.400 %, Milch 350%, hat sich der Preis für Ei und Hähnchenfleisch nicht einmal verdoppelt. Allerdings muss man die externen Kosten, wie Landwirtschaftssubventionen, Umweltbelastung, Humankrankheiten, noch einrechnen, was gewöhnlich unterbleibt. Intensivhaltung bei allen Tieren ist die Regel. 99,9 % bei Masthühnern, 97 % bei Legehennen, 99 % bei Puten, 95 % bei Schweinen, 78 % bei Rindern. Diesen Zahlen folgt der Bericht eines redlichen Putenfarmers: keine einzige Supermarkt- Pute könne normal gehen. Die Industrie rechnet mit 10 - 15 % Verlust schon beim  Transport der Puten zum Schlachthof (133) Das führe dazu, wie „der Kinderarzt im Ort" erzählt, dass er „ neuerdings alle möglichen Krankheiten zu sehen bekommt, die er noch nie gesehen hat." ... Diabetes bei Jugendlichen, Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen..., Mädchen kommen viel früher in die Pubertät, Kinder sind gegen ungefähr alles allergisch, Asthma bekommt er nicht mehr in den Griff. „Jeder weiß, dass das an unserer Ernährung liegt. Wir manipulieren die Gene dieser Tiere, und dann füttern wir sie mit Wachstumshormonen und allen möglichen Medikamenten, über die wir in Wahrheit gar nicht genug wissen. Und dann essen wir sie. Die Kinder von Heute sind die 1. Generation, die mit dem Zeug aufwächst, wir benutzen die Kinder als wissenschaftliches Experiment." (S. 136) Das ist rhetorisch sehr geschickt gemacht, der Autor weiß, wie man Emotionen erzeugt.

Den Hühnern geht es sehr schlecht. Neben Deformationen treten „Augenschäden, Blindheit, bakterielle Knocheninfektionen, Wirbelverschiebungen, Lähmungen, innere Blutungen, Anämie, Sehnenschäden... Erkrankungen der Atemwege, schwache Immunsysteme auf". Sie sind mit E. Coli und Salmonellen infiziert - potentiell tödliche Krankheitserreger. Ein Großteil der „Lebensmittel induzierten Krankheiten"  geht auf Tierprodukte zurück. 70 Millionen Fälle in den USA  sind durch Lebensmittel verursacht. Das alles kann zu einer neuen Pandemie, wie einst der „Spanischen Grippe" beitragen. Wissenschaftler haben tatsächlich 6 der 8 genetischen Sequenzen, des (im Moment) am meisten gefürchteten Virus der Welt direkt auf amerikanische Massentierhaltungsbetriebe zurück geführt. Bei den Schweinen ist es nicht besser und auch nicht in der Lachszucht, mit dem Aquafarming, so dreckiges Wasser, Überfüllung der Becken, brutale Behandlung, Kannibalismus unter Tieren. Andererseits werden 80 - 90 % der gefangenen Meerestiere tot als Beifang über Bord geworfen. Moderne Fischereimethoden zerstören Ökosysteme. Fehlen noch die Rinder. Auch hier funktioniert nichts so recht, was zu vielfältigen Qualen führt.

Nachdem der Autor 3 Jahre über Viehzucht arbeitete, wurde er überzeugter Vegetarier. Das lässt sich angesichts des Inhalts nachvollziehen. Das Buch ist gut dokumentiert, ausführlich belegt und führt zum Nachdenken.

RezTiereEssen (34k)

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FOER Jonathan Safran: Tiere Essen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010