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FREEDMAN Paul (Hg.): Essen. Eine Kulturgeschichte des Geschmacks. Primus, Darmstadt 2007

KOLMER Lothar.   

Der Herausgeber unternimmt in seiner Einleitung eine Tour d'horizon quer durch Räume und Zeiten, definiert aber nicht, was er unter Geschmack versteht. Der Titel dient eher zur Abhebung von anderen Kulturgeschichten der Ernährung, die ebenso von der Vorgeschichte bis zur neuen Landschaft der Gastronomie reichen. Die meisten der Autoren stammen aus dem angelsächsischen Bereich, abgesehen von Hansjürgen Teuteberg und Peter Scholleers, ergänzt um Alain Drourd aus dem CNRS Paris. Dies schlägt sich sichtlich im Literaturverzeichnis nieder, mit einem übergroßen Anteil der englischsprachigen Literatur.

Die Menschen der Vorgeschichte scheinen zunächst Aasfresser gewesen zu sein und selbst Beute von Raubtieren. Die Ernährung der Jäger und Sammler achteten eher auf den Fettgehalt als die zu erbeutende Fleischmenge. Deswegen wurden die Zungen und die Markknochen bevorzugt, aber auch schon das Süße, aus Früchten, Beeren, Honig, Ahornsirup, Pflanzenextrakten. Das Brauwesen dürfte um die 5000 Jahre alt und eine Sache der Frauen gewesen sein.

Antike Autoren prangerten den Lebensstil und die üppige Küche der sizilianischen Griechen an, während sich die Athener selbst als genügsame und tugendhafte Menschen schlichten Geschmacks darstellten. Das Grundprinzip der Kochkunst von Archestratos lautete: kauf die allerbesten Zutaten so frisch wie möglich, der Saison gemäß, und bereite sie dann schlicht zu. Die Römer übernahmen diese griechischen Elemente bereitwillig, das alles spiegelt sich dann auch in der Rezeptesammlung, die unter dem Namen des Apicius erschien.

In der chinesischen Kultur war bei Speisen die Symbolik von großer Bedeutung. Die Darstellung des Kochkessels wurde sogar zum Staatssymbol. So wundert es auch nicht, dass Kochen die Metaphern für das Regieren lieferte. Zivilisierte Menschen galten als „gekocht" - unzivilisierte als „roh". Da die Nahrung eng mit der Gesundheit verknüpft war, existierten zahlreiche Werke über Diätetik, mit den klassischen Idealen der Genügsamkeit und der Ausgewogenheit.

Die islamische Küche entstand im Mittelalter, führte zu einer muslimischen Hochkultur des Essens, auch weil Perser, Byzantiner, andere Völker aus dem weitverzweigten Reich Lebensmitteltechniken, Gewürze einbrachten. So war die Oberschicht von Bagdad besessen vom Thema Essen. Kochbücher und solche über Tischsitten enthielten das Wissen, welcher Wein zu welcher Speise passte, wie man Desserts anrichtete, was die neuesten Gewürze waren. Einfache Gastlichkeit, wie sie Mohammed empfahl, wich einer unerhörten Freigiebigkeit. Rezepte aus den klassischen mittelalterlichen Kochbüchern zeigen Raffinesse und den Unterschied zu der modernen Küche des Mittelmeerraumes. Nach einem Überblick über das Mittelalter, mit der Diätetik, dem Aufgreifen von Galens Physiologielehre in der Renaissance und neuen Tischsitten, wie sie Erasmus von Rotterdam lehrt, wird weiters die Integration der neuen Lebensmittel aus dem Kolonialreichen in Übersee in einem weiten Ausgriff bis ins 18. Jahrhundert behandelt. Theuteberg schildert die Ernährung im Zeitalter der Industrialisierung mit der Änderung der Nahrungsgewohnheiten, Kaffeegenuss bei bürgerlichen Schichten, Kartoffelanbau, steigendem Alkoholkonsum. Es kommt dann die industrielle Produktion, mit der Berücksichtigung der Erkenntnisse der Ernährungsphysiologie, dem Einfluss der Chemie auf die Lebensmittelproduktion. Der Abriss über die französische Küche des 19. und 20. Jahrhunderts geht auf die großen gastronomischen Schriftsteller der Zeit ein. Paris wurde zur gastronomischen Hauptstadt, mit einer festen Ordnung und strengen Prinzipien der Gerichte. Ausführlich wird auch auf die Nouvelle Cuisine und ihre Regeln eingegangen und die Köche behandelt, die sie praktizieren. Die Kluft zwischen Ansprüchen und Postulierung einer kulinarischen Spitzenstellung Frankreichs und den Essgewohnheiten der Franzosen, die täglich Produkte der Lebensmittelindustrie verzehren, wird betont. Ein eigener Abschnitt bietet die Geschichte und Entwicklung der Restaurants seit der Französischen Revolution, bis hin zu den großen Hotelrestaurants.

Peter Scholliers umreisst die neue Landschaft der Gastronomie. Luxuskonsum wird zum Massenkonsum. 1970 beginnt das Jahrzehnt des Umschwungs, bis dahin verharrten die Ernährungsgewohnheiten in den Normen und Vorgaben von vor 1940.

Das Buch bietet einen guten Überblick über die Geschichte und enthält alle wesentlichen Informationen. Das 17. und 18. Jahrhundert sind etwas knapp geraten, die Darstellungen der französischen Küche mit vielen Menüplänen und ausführlichen Zitaten demgegenüber etwas zu üppig. Die Bebilderung kennt man zu einem großen Teil schon aus anderen einschlägigen Werken, sie ist im guten Sinne illustrativ. Wer den Grundriss einer Kulturgeschichte sucht, wird hier fündig.

RezEssen (34k)

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FREEDMAN Paul (Hg.): Essen. Eine Kulturgeschichte des Geschmacks. Primus, Darmstadt 2007