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Die Mühen der Ebene. Ob Regionalität besteht, hängt oft vom überdurchschnittlichen Engagement Einzelner ab

BERNHARD Klaus.   

Auch im Tiroler Oberland versuchen einzelne Idealisten nach Grundsätzen der Regionalität zu leben und zu wirtschaften. Das ist nicht immer einfach und bringt manche Rückschläge.

Mit Hilfe von Kooperationen und unter dem Dach des Naturparks Kaunergrat sind auch Erfolge möglich.

 

Monika Falkeis aus Kauns im Tiroler Oberinntal hat wieder einen Job. Nein. Sie arbeitet wieder in ihrem erlernten Beruf. Aus Überzeugung, Freude und wohl auch Berufung, nimmt sie Tag für Tag zweimal die knappe Stunde Fahrzeit auf sich und fährt ins Krankenhaus nach Zams, wo sie im Labor als medizinisch-technische Assistentin beschäftigt ist.

Was für sie neue Herausforderung und Verantwortung, Teilhabe am öffentlichen Leben über den Rahmen des Bergdorfs hinaus und für die Familie ein gesichertes Einkommen bedeutet, hinterließ auf dem Bauernhof tiefe Spuren: Vom beinahe autarken Biobetrieb, dessen Produkte weit über den lokalen und regionalen Bereich hinaus begehrt waren, ist auf den ersten Blick nicht viel mehr als ein Reiterhof geblieben. Als sie mit ihrem Mann Mainrad vor 15 Jahren die Landwirtschaft vom Schwager übernommen hatte, wurde ein großes Sortiment an bäuerlichen Produkten erzeugt und feilgehalten. Dass man von den vier, fünf Rindern und den paar Wiesen nicht leben könne, war klar. Also setzte man auf Selbstvermarktung. Den Schwerpunkt bildeten neben dem Getreide vor allem die Schafe, die in jedweder erdenklichen Form verwertet wurden; es wurde gezüchtet, geschlachtet, gewurstet. Ja sogar die Wolle hatte Monika Falkeis selbst gewaschen und weiter verarbeitet: „Das ist ein tolles Produkt", sagt sie, aber es wäre allein kaum zu schaffen. Und der Markt schob mit den erzielbaren Preisen rasch einen Riegel vor: Auch Wolle guter Qualität war im Geschäft kostengünstiger zu haben, als Falkeis sie herstellen konnte; von den fertigen Strickwaren, die oft billiger sind als die Materialkosten für die erforderliche Wolle ausmachten, ganz zu schweigen.

So verlegte sich das Ehepaar auf die Verwertung des Schaffleischs, das nach Biogrundsätzen produziert wurde und seine Abnehmer sogar in der Hauben- und Sterne-Gastronomie des fernen Stubaitals fand. Darum herum wurde umsichtig ein Sortiment an Honig und Imkereiprodukten, Bergkräutern, Tees, Gewürzen, Säften und Sirupen, Schnaps, Salzen und Cremen aufgebaut, das seine Wurzeln vorwiegend im Hausgarten und den Obstwiesen - das dialektale „Bångert" leitet sich vom „Baumgarten" ab - der Bauernfamilie hat oder in freier Natur gesammelt wird; etwa Lindenblüten, Schafgarben oder Holler. Monika Falkeis erinnert sich, dass der neuangelegte Kräutergarten im ersten Jahr kaum Erträge lieferte: „Alles ist sehr arbeitsintensiv und praktisch nur manuell herzustellen. Aber was man gerne tut, geht leichter!"

Rasch erkannten sie, dass gemeinsam vieles einfacher ist. Zusammen mit einer anderen Familie wurde im nahen Dorf ein Bio-Hofladen eröffnet, wo nicht nur die eigenen Erzeugnisse, sondern etwa auch Käse aus der Biosennerei Prutz verkauft wurden. Ein Modell, das knapp zehn Jahre funktionierte, zwar Aufwand und Einsatz - ein Geschäft bedeutet auch Verlässlichkeit in der Verfügbarkeit der Produkte und Einhaltung der Öffnungszeiten - erforderte, aber doch Erträge pekuniärer und emotionaler Natur einbrachte.

Dann stieg die zweite Familie aus. Und auch die Biosennerei schloss ihre Pforten. Was als hehres Projekt intellektueller Überzeugungstäter begonnen hatte, scheiterte nach wenigen Jahren an mangelnder Solidarität: „Weil nicht alle damit einverstanden waren, regelmäßig Arbeit zu leisten und etwa die Joghurtgläser zu waschen", sagt Monika Falkeis. „Zunehmend aussichtslos wurde es für die Biosennerei als immer mehr Mitglieder ihre Milch an die Tirol-Milch(1) lieferten, weil dort kurzfristig höhere Erträge zu erzielen waren", ergänzt Ernst Partl, Geschäftsführer des Naturparks Kaunergrat.

Eine Weile versuchten es Monika und Mainrad Falkeis alleine, aber den Hof bewirtschaften, die Produkte herstellen, den Laden offenhalten und für die Familie da sein, war auf Dauer nicht zu bewerkstelligen. Als die Kinder zu Ausbildungszwecken das Haus verließen und weit von daheim ihre Arbeit fanden, orientierte man sich neu. Monika Falkeis nahm die Stelle im Krankenhaus an, ihr Mann Meinrad stellte auf Pferde um, betreut die Bienen und brennt Schnaps. Heute ist man ein anerkannter Haflingerzuchtbetrieb. Mit dem einen Unterschied, dass überzählige Hengstfohlen nicht, wie es die Tiroler Mär zu erzählen weiß, LKW-weise zur Salamiproduktion nach Italien verschafft, sondern von den Falkeis' selbst verwertet werden: Frischfleisch, mageres, gepökeltes, luftgetrocknetes Fleisch, wie man es aus dem angrenzenden Engadin als „Bündnerfleisch" (diesfalls vom Rind und im benachbarten Veltlin als „Bresaola" geläufig) kennt und Würste, die allerdings nicht jedermanns Sache sind: Obwohl das Fleisch besonders gesund, insbesondere sehr fett- und cholesterinarm sei, schrecken etliche Konsumenten vor Pferdefleisch und -wurst oftmals zurück, erklärt Monika Falkeis.

Zu allen Zeiten litt der Falkeis-Hof unter saisonalen Schwankungen: Wie froh wäre man seinerzeit um planbare, regelmäßige Abnahmemengen seitens der Gastronomie gewesen. Aber das war nicht möglich: In der Zwischensaison gab es praktisch keine Lieferungen, zu Spitzenzeiten hätte man die mehrfache Menge des Möglichen parat haben sollen, und zwar prompt. Da sei für die privaten Stammkunden nichts mehr übriggeblieben. Eine längerfristige Vorschau sei mit den Gastronomen nicht machbar gewesen. Und auch heute kann sie nicht immer liefern: „Manchmal haben wir einfach nicht genug Hengstfohlen", sagt Monika Falkeis. Man versuche, sich durch Zukauf von befreundeten Züchtern, wo man sich auf die Einhaltung der Produktionsbedingungen verlassen könne, zu behelfen. So macht sie es übrigens auch beim Schaffleisch: Es gebe immer noch Kunden, die ihren Schafwürsten nachweinten. Also kaufe sie manchmal Schaffleisch, um es zu verwursten.

Vertrieben wird heute über mehrere Kanäle. Einerseits direkt, vorwiegend an Kunden, die sie seit langem kennen und immer wieder bei ihr bestellen. Andererseits über Märkte. Sie beschickt regelmäßig Wochenmärkte, vor allem jeden Freitag den „Landecker Frischemarkt". Dabei tritt man gemeinsam mit anderen Erzeugern als Verein „Leba" (Lebensqualität aus Bauernhand), dessen Gründungsmitglied man ist, auf und teilt sich so die Aufwände einschließlich der Arbeit vor Ort im Verkaufsstand. Sie selbst genießt es, mit den Verbrauchern direkt in Kontakt zu treten und stellt sich, wenn sie Zeit hat, gerne auf den Markt: „Das muss man mögen. Nicht jeder ist zum Vermarkten geboren", erkennt sie in der arbeitsteiligen Kooperation die Vorteile. Zudem hat sie sich im Lauf der Zeit einen kleinen Versandhandel aufgebaut und besonders vor Weihnachten kommt es vor, dass auch renommierte Unternehmen ihre Kundengeschenke in Form repräsentativer Bio-Lebensmittelpakete bei ihr ordern.

Ein wichtiger Partner ist dabei der Naturpark Kaunergrat, ein Zusammenschluss neun regionaler Gemeinden und des Landes Tirol, der sich naturnahen, nachhaltigen Tourismus, einschließlich Unterstützung der Wirtschaft und Landwirtschaft der Region, auf die Fahnen geheftet hat. Wer sich im Windschatten des Naturparks präsentieren oder vermarkten will, muss bestimmte Bedingungen erfüllen. Dazu gehört natürlich das umweltschonende Wirtschaften. Monika Falkeis: „Irgendwie muss man von der Einstellung her dazu passen."

Geschäftsführer Ernst Partl sieht seine Rolle so: „Wir wollen den Erzeugern helfen, dass sie ihre Produkte ohne allzu großen Aufwand in die Vermarktungskette einschleusen können."  Die Waren sollten leichter ihren Weg zum Verbraucher finden, immerhin seien sie relativ teuer; im Schnitt lägen sie rund 15 Prozent über dem normalen Handel. Dazu biete man eine langfristige, verlässliche Partnerschaft an und stelle bestimmte Ressourcen von der Administration über das Marketing bis zum Netzwerk bereit. „Wer mit uns arbeiten will, kann und soll das", sagt er, wenngleich auch er zustimmt, dass passen müsse, wer dabei sein wolle: „In der Direktvermarktung ist es besonders schwierig. Wenn man nicht selber lebt, was man tut, geht es nicht!"

Man strebe natürlich an, dass möglichst viele Hersteller nach Bio-Kriterien erzeugen. Wobei Partl einräumt, dies sei nicht leicht. Manche Bauern wären sogar zur konventionellen Produktion zurückgekehrt. Monika Falkeis kann dies aus Erzeugersicht nachvollziehen: „Die Bio-Regeln getreu zu befolgen, ist aufwendig." Zudem sei heute schon alles „bio" und komme von überall her, ergänzt sie: „Regionalität ist derzeit viel mehr gefragt!"

Generell meint Ernst Partl, der selbst von einer Bergbauernfamilie aus der Gegend stammt, müsse man danach trachten, dass nicht noch mehr Nebenerwerbsbauern ihre Höfe aufgeben, was bei jedem einzelnen Generationswechsel virulent werde. Dabei komme es auch darauf an, wie und wie hoch die Gesellschaft die unverzichtbaren landeskulturellen Leistungen der Bauern abgelte: „Wenn man auf Dauer die regionale Produktion aufrechterhalten will, müssen jene Bauern speziell gefördert werden, die dazu noch bereit sind." In diesem Zusammenhang sei es auch schwer verständlich, dass sukzessive die besten landwirtschaftlichen Gründe in Gewerbegebieten und Straßen aufgehen und die steilen und weniger ertragreichen Hanglagen die regionale Versorgung sicherstellen sollten.

Monika Falkeis jedenfalls profitiert vom Naturpark, wie sie ausführt. Neben der überregionalen Werbung, die ihr zugutekommt, wird sie auch immer wieder zur Ausrichtung von Buffets und Caterings für bestimmte Veranstaltungen eingeladen. Dann kooperiert sie meistens mit anderen Naturparkbäuerinnen, die zuliefern, was sie selbst nicht erzeugt; etwa Brot, Butter, Speck usw. Schwierig sei es seit der Schließung der Sennerei Prutz mit der Verfügbarkeit von Biokäse aus der Region.

Nüchtern, aber nicht ernüchtert oder gar resigniert, zieht sie ihr Resümee: „Alles war zu seiner Zeit richtig, so wie es war", sagt sie, kredenzt köstliches Fohlen-Trockenfleisch, Apfelsaft und geht in den Garten, um die Kräuter zu ernten.

DieMuehenDerEbene (46k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Die landesweit dominierende Milchgenossenschaft wurde erst kürzlich ihrerseits von der oberösterreichischen „Berglandmilch", nicht zuletzt mit dem Argument, den Bauern einige Cent mehr für die Milch zu zahlen, geschluckt.  
Eine rare Spezialität: Luftgetrocknetes Fohlenfleisch   Aus eigener Produktion: Trockenfleisch, Würste, Apfelsaft