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Epikur Journal 01/2010: Editorial

20.04.2010  

Glaubt doch nur,
Epicur
Macht die klügsten Weisen;
Die Vernunft
Seiner Zunft
Sprengt die Foltereisen,
Die der Aberglaube stählt,
Wenn er schlechte Seelen quält
Und des Pöbels blöden Geist
In die Nacht des Irrthums reißt.


In der vierten Strophe eines seiner „Studentenlieder" hat Johann Christian Günther (1695-1723) seine Interpretation der Lehre Epikurs so kurz wie frühaufklärerisch dargeboten. Das Gedicht handelt in bester barocker Manier von der Vergänglichkeit, der vanitas: wie der sachte Rauch, so verfliegt das Leben auch ... und weil man jezo noch in den besten Jahren sich befinde, sei das Leben zu genießen; Ausschweifungen eingeschlossen. Solche Aufforderungen, auch wenn sie weitgehend einem literarischen Topos und Kanon folgten, machten J. Chr. Günther bei der christlichen Orthodoxie nicht beliebter, die dies ganz realiter sah und die studierende Jugend auf dem Weg ins Verderben. Die hohe Textqualität verbesserte Günthers in solchen Kreisen ohnehin schon schlechtes Ansehen eindeutig nicht. Im Gegenteil - mit solchen Versen provozierte er die Theologen gezielt. Sie zählten für ihn zu den Mitgliedern einer anderen Zunft, der des Aberglaubens, die das verdummte Volk in die Dunkelheit des Irrtums, der Unwissenheit zwingen wollten. Epikurs Vernunft dagegen bringt das Licht der Einsicht - der Aufklärung. Über ca. 60 Jahre hinweg verbindet das J. Chr. Günther mit Immanuel Kant; quasi avant la lettre!

Sind das vergangene Gefechte, überholte Auseinandersetzungen, wie das in einem der folgenden Artikel der Slow-Food-Philosoph Capatti andeutet - um sich aber dann doch mit der Lehre Epikurs zu beschäftigen? Bezeugt das nicht alles eine Überzeitlichkeit der Anschauungen von Epikur (der 341-270 v.Chr. lebte) und gehören die Konfrontationen nicht wesentlich auch zu unserer Kultur? Denn sie ziehen sich durch bis heute, wie einer der folgenden Artikel belegt. Sind sie nicht gerade jetzt von Aktualität, da manch traditionelle und lang gepredigte orthodoxe Moral obsolet und obskur anmutet oder geworden ist?

Die Antagonismen sind im Vergleich zum antiken Stadtstaat nur globaler geworden: Reichtum und Prasserei, Genuss und Hedonismus, Armut und Hunger, Ausbeutung, Verschwendung von Ressourcen ...

Die Frage nach dem rechten, dem guten Leben aber blieb. Sie ist aktuell. Kann hier an das materialistische Denken angeschlossen werden und an die Frage, wie weit Epikur zur Legitimation des Genusses, sogar eines Hedonismus (nach Duden: einer philosophischen Lehre, der zufolge das höchste ethische Prinzip das Streben nach Sinnenlust ist) dient? Er kann es nicht: ausweislich seiner Schriften zählte Epikur nicht zu den Hedonisten, vielmehr waren es seine Gegner, die ihn als solchen verächtlich machten. Den Negativstempel „Hedonismus" aufgedrückt bekommen möchte auch heute noch keine Gruppierung, die sich mit diesen Themen befasst - wie etwa Slow Food. Und aus diesen Gründen kommt Epikur in die Debatte - oder er bleibt nach wie vor in ihr.

Um diese Debatte anzuregen, anzustoßen, haben wir diese Ausgabe dem Namensgeber des Journals gewidmet - als Einstieg in eine fortlaufende Diskussion, die die Arbeit des Zentrums für Gastrosophie begleiten soll. Ohne Reflexion und Diskussion kann die Beschäftigung mit Ernährung, Kultur in der Gesellschaft nicht auskommen.

Wir freuen uns, dass unser Rektor-Philosoph Heinrich Schmidinger den Eröffnungsartikel beigetragen hat, und danken ihm wie auch allen anderen Mitarbeiter/-innen an dieser Nummer sehr herzlich. Wir haben versucht, das Thema von mehreren Seiten, auch durch unseren wissenschaftlichen Nachwuchs zu beleuchten.

Nach den erfreulichen Rückmeldungen auf das erste Journal haben wir die Linie beibehalten: Artikel, Glossen, Rezensionen. Sie alle sollen dazu beitragen, Material zur Geistesnahrung zu liefern, damit der gastrosophische Verstand weiterdenken, sich bedienen und weiterbilden kann; um einmal ganz zu sich selbst zu gelangen.

LK