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Fischstäbchen in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Geschichte des technologischen und gesellschaftlichen Wandels

Felicity JENSZ.   

Das Fischstäbchen hat heute einen festen Platz in den Top 10 der beliebtesten Tiefkühllebensmittel Deutschlands. Den Weg dorthin bestimmten wesentliche technologische und gesellschaftliche Veränderungen in der Nachkriegszeit.

 

Statistisch gesehen isst jede/r Deutsche 23 Fischstäbchen pro Jahr, was einer Menge von 5,2 Mio. Fischstäbchen entspricht, die insgesamt pro Tag verzehrt werden. Das Fischstäbchen ist aufgrund seiner Verbreitung seit seiner Einführung auf dem westdeutschen Markt im Jahr 1959 zum Synonym für fischindustrielle Produkte geworden. Seine Etablierung in der deutschen Esskultur ist ohne die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Nachkriegszeit kaum nachvollziehbar. Das Fischstäbchen symbolisiert deswegen nicht nur den Wandel der deutschen Fischereigeschichte, sondern verdeutlicht zudem, wie die technologischen Fortschritte - etwa die industrielle Fertigung von Lebensmitteln oder die Verbreitung von Tiefkühlgeräten - sowie die Essgewohnheiten der Deutschen ihre Vorstellung von einer „modernen" Gesellschaft beeinflusst haben. Im Folgenden soll es darum gehen, die Geschichte der Einführung des Fischstäbchens auf dem deutschen Markt zu erläutern.

 

Das westdeutschen Fischstäbchen ist überwiegend aus Filets, und nicht aus Fischmus hergestellt, was in der DDR unter der Name „Rostocker Fischstäbchen" gängig war. Seit den 1950er Jahren hat sich der Herstellungsprozess von Fischstäbchen nicht wesentlich verändert, nur die Fischart wird gelegentlich wegen Überfischung geändert. Der Prozess kann folgendermaßen beschrieben werden: Nachdem der Fisch gefangen wurde, wird er filiert, dann in einen Karton mit anderen Filets gepackt, die daraufhin zu einem Filetblock werden. Die Blöcke werden in wenigen Minuten auf minus 18 bis minus 40 Grad schockgefroren. Ab diesem Zeitpunkt bleibt das Produkt bis zum Verzehr tiefgekühlt. Die Lieferkette vom Fang bis zum Verzehr ist eine sogenannte Kühlkette, die das Produkt konstant bei unter minus 18 Grad halten muss. Die Blöcke werden an Land in Stäbchen gesägt, die wiederum paniert, im Anschluss (ohne dass das Fischstäbchen auftaut) kurz frittiert und schließlich verpackt und bis zur Auslieferung gelagert werden.

Die Geschichte des Fischstäbchens ist wegen seines Herstellungsprozesses eng mit der Geschichte der Tiefkühltechnologie (TK-Technologie) verbunden. Allerdings stand schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die TK-Technologie zur Verfügung wogegen Fischstäbchen erst seit 1959 auf den deutschen Markt sind. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die TK-Technologie von der deutschen Regierung unterstützt: Sowohl die Regierung der Weimarer Republik als auch das NS-Regime bewilligten Subventionen für die Umsetzung dieser Technologie in der Fischindustrie. Mit dem Einsatz von TK-Technologie konnte nämlich eine Ernährungssicherung gewährleistet werden, weil durch diese die Lagerungszeit von Essen verlängert werden konnte. Das NS-Regime unterstützte TK-Technologie mit dem Ziel, den „Vierjahresplan" (ab 1936) zu gewährleisten. Um Fleischimporte zu ersetzen, sollten die Deutschen ihren Eiweißbedarf vorwiegend durch von deutschen Reedereien gefangene Fische decken. Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gab es zwar in Deutschland die Technologie für die TK-Fischwirtschaft, aber in der Praxis weder Erfahrungen noch den entsprechenden Markt.(1) Erst in den 1950er Jahren konnte eine durchgehende Tiefkühlkette vom Schiff bis zur Tiefkühltruhe in den Lebensmittelläden etabliert werden.

Wie auch nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Verzehr von Fisch nach dem Zweiten Weltkrieg ab, gleichzeitig stieg der Konsum von Fleisch.(2) Das Fischessen wurde wegen der Fischgräten oft als lästig und gefährlich empfunden. Weiterhin haben Endverbraucher Fisch wegen seiner geringen Haltbarkeit, wegen seines unangenehmen Geruchs und wegen der schwankenden Preise selten gekauft.(3) Die deutsche Fischindustrie befand sich daher in den 1950er Jahren in einer schweren Absatzkrise.

Um die schwankenden Preise zu festigen, stieg die Fischindustrie ab Mitte der 1950er Jahre verstärkt in die TK-Technologie ein. Die Gemüse-, Obst- und Fleischindustrien taten das Gleiche, um ihre jeweiligen Umsätze zu erhöhen. Ein wichtiger Grund, wenn nicht der maßgebliche, für den Einsatz von TK-Technologie in der Fischfangindustrie war die Verlängerung der davor zeitlich sehr begrenzten Lagerungszeit von maximal drei Wochen, die gewährleistet werden konnte, wenn der Fisch auf Eis lag.(4)

Um Kunden für TK-Fisch zu gewinnen, pries die Fischindustrie ihr Produkt mithilfe des Vereins „Deutsche Fischwerbung" durch gezielte Werbung. Der Verein hatte sogar eine eigenen Kundenzeitschrift namens „Die Frau von heute"(5), welche die teure Werbung in Frauenzeitungen ersetzen sollte.(6) Fisch insgesamt wurde mit Idealen wie „Schönheit, Gesundheit, Schlankheit, Glück, Familie" beworben.(7) Im Jahr 1961 führte der Verein eine große Sonderwerbung für TK-Fisch durch, um die deutschen Hausfrauen über TK-Kost aufzuklären. Diese Sonderwerbung umfasste ca. 4,5 Millionen Rezeptblätter, 100.000 Plakate und 20.000 Fahnen mit der Aufschrift „Wir führen Tiefkühlfisch" in Lebensmittelläden.(8) Dabei handelte es sich um die „Einführungswerbung" unter dem Leitwort „So bequem war Fischeinkauf noch nie."(9)

Bei Genossenschaften wie REWE und EDEKA setzte bereits Mitte der 1950er Begeisterung für die neuen Technologien ein. Gleichzeitig fand ein Wandel von kleinen Tante-Emma-Läden hin zu großen Selbstbedienungsläden statt.(10) Immer mehr Lebensmittelläden stiegen selbst in die TK-Technologie ein, was mit der Anschaffung von TK-Truhen und TK-Ketten allerdings eine große Investition bedeutete. Ab Mitte der 1950er gab es zahlreiche Werbeaktionen, um sowohl den Ladenbesitzer als auch den Endverbraucher für TK-Produkte zu begeistern. Kleine Geschäfte wurden oft von Vertretern der TK-Industrie besucht, die Werbung für TK-Truhen machten. Im Jahr 1956 wurde ein großer Probelauf mit 400 TK-Truhen gestartet, ein Testlauf in vielen Läden in der Gegend Köln-Bonn. Eine solche Aktion war nur durch die Zusammenarbeit von TK-Industrie, Genossenschaften und der Deutschen Fischwerbung möglich, die unter sich die Verantwortung für Produkte, Marketing und Lager aufteilten.(11) Die Deutschen gewöhnten sich langsam an die TK-Kost und die TK-Geräte: Während im Jahr 1960 nur drei von hundert Haushalten ein Tiefkühlgerät besaßen und der Pro-Kopf-Verbrauch bei 0,4 Kilogramm lag, besaßen bis zum Ende des Jahrzehnts achtzehn von hundert deutschen Haushalten ein Tiefkühlgerät und der Konsum von Tiefkühlkost hatte sich verzehnfacht.(12)

 

 

Für das Fischstäbchen war allerdings 1959 das entscheidende Jahr. Die TK-Industrie war gewachsen und Lebensmittelläden setzten sich für TK-Kost ein. In diesem Jahr startete die Firma Solo einen TK-Test in Düsseldorf und Neuss, um die Bereitschaft des Kunden, TK-Kost zu kaufen, zu ermitteln. Solo, später Iglo genannt, war Teil des Unilever Konzerns, der sich in den 1950er Jahren auf dem englischen TK-Markt besonders auf die Produkte der Firma „Birdseye" konzentriert hatte. Als 1959 der Test in Düsseldorf-Neuss begann, hatte Solo keine selbstproduzierten TK-Waren und musste deswegen auf die Produkte von Birdseye zurückgreifen - unter anderem Fischstäbchen, die schon seit Mitte der 1950er auf dem englischen Markt zu kaufen waren.(13)

Als Solo das Fischstäbchen auf den westdeutschen Markt brachte, wurde es folgendermaßen beworben: „Fischstäbchen sind eine Spezialität von Solo Feinfrost. Sie werden aus seefrischen Fischfilets hergestellt und sind schon paniert und angebacken. Mit Fischstäbchen kann man Gästen eine neue Überraschung bieten. Auch lassen sie sich gut zum Abendbrot mit Resten vom Mittagsessen servieren. Wichtig ist, daß Kinder Fisch in dieser Form viel lieber mögen."(14)

Das Fischstäbchen wurde auch als etwas Neues, Modernes, Bequemes und Familienfreundliches dargestellt. Der Endverbraucher musste den Fisch nicht vorbereiten, welcher in Form eines Fischstäbchen als panierter, grätenloser, weißer Fleischteil des Fisches, der leicht zu verdauen ist, verkauft wurde. Gräten, Geruch und Arbeit blieben dem Endverbraucher erspart.

TK-Kost sowie der Verkauf von Konservendosen wurden zunehmend als verbraucherfreundlich wahrgenommen, da man so ‚immer was im Haus hatte' und saisonunabhängig Obst und Gemüse essen konnte.(15) Der Trend zu Fertig- und Halbfertiggerichten wird in der Forschungsliteratur als Spiegelung der Amerikanisierung des bundesdeutschen Alltags wahrgenommen.(16) Für die deutsche Hausfrau gab es eine deutliche Spannung zwischen ‚Selbstherstellung' und der Benutzung von industriellen Produkten, die wiederum Einfluss auf die Esskultur der 1950er ausübte. Michael Wildt sieht in der Verbreitung von industriell verarbeiteten Lebensmitteln ein identitätsstiftendes Angebot für die moderne Frau, die mit Küchengeräten mehr anfangen konnte als mit Handarbeit und sich als ‚modern' präsentieren wollte.(17) Für die Hausfrau der späten 1950er wurde Bequemlichkeit wichtiger als Geschmack. Diese Merkmale zeichnen heute im Wesentlichen ‚convenience food' aus. Der steigende Konsum von ‚convenience food' spiegelte die wechselnden Nahrungsmittel- und Arbeitspräferenzen der Deutschen der Zeit.

Die späten 1950er und 1960er Jahre waren eine Zeit, in der die Folgen des Wirtschaftswunders und sozialer Veränderungen der BRD sich in der veränderten Konsumkultur und besonders im Essen der Deutschen spiegelten.(18) Nachdem die Sparpolitik der Nachkriegszeit nach und nach gelockert wurde, blieb mehr Geld für Essen übrig.(19) Reichlich Essen war auch ein Versuch, ‚Normalität' ins Leben zurückzubringen, da man sich nicht mehr um die Essensbeschaffung sorgen musste.(20) Ab den 1950er Jahren machte sich in der Werbung zudem eine steigende Tendenz zu internationalem Essen breit. In Frauenzeitschriften der Zeit sind zunehmend internationale Kochrezepte zu finden, ebenso wie Werbung für Oliven aus Spanien oder Sardinen aus Portugal.(21) Solche Lebensmittel und die Kenntnis ihrer Zubereitung wurden als notwendig für die moderne, international bewusste Frau vermarktet. Diese Internationalisierung von Lebensmitteln und Kochkultur wird in der Literatur als der Wunsch der Deutschen interpretiert, Teil der internationalen, modernen Gemeinschaft zu sein.(22) Das Fischstäbchen und die dazugehörigen TK-Geräte wurden auch mit Idealen wie Modernität vermarktet, allerdings verbunden mit Werten wie Bequemlichkeit und zeitsparender Familienfreundlichkeit und nicht mit Internationalisierung, obwohl das deutsche Fischstäbchen britischen Wurzeln hat.

 

Die Geschichte des Fischstäbchens ist mit den Wandlungsprozessen der deutschen Fischerei und der TK-Industrie eng verwoben. Mit der Etablierung des TK-Gerätes hat sich die Esskultur in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich verändert. Die TK-Kost wird von der Werbeindustrie als ein Nahrungsmittel inszeniert, das die Arbeit von Hausfrauen leichter und Kinder glücklich macht und das für Singles und Studierende ein hochwertiges Lebensmittel darstellt. Das Fischstäbchen ist aus der TK-Kost nicht mehr wegzudenken und befindet sich auch heute noch unter den Top-10 der beliebtesten Tiefkühllebensmittel Deutschlands.(23)

 

 

 

Literaturverzeichnis:

Andersen, Arne: Der Traum vom Guten Leben. Alltags-und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis Heute. Campus, Frankfurt und New York 1999.

Brigitte (5. April 1960)

Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1961, Deutsche Fischwerbung GmbH, Bremerhaven 1961.

Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1958/59, Deutsche Fischwerbung GmbH, Bremerhaven 1959.

Heidbrink, Ingo: Fischverarbeitung/Fischstäbchen. In: Hans Kloft, Lars Scholl und Gerold Wefer (Hg.), Innovationen aus Bremen. Persönlichkeiten aus Kultur, Technik und Wirtschaft, Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 2006/2007. Hauschild, Bremen (2007). S. 256-263.

Heidbrink, Ingo: Werner Beckmann und Matthias Keller: ...und heute gibt es Fisch! 100 Jahre Fischindustrie und Fischgroßhandel in Schlaglichtern. Hauschild, Bremen 2003.

Hilck, Erwin und Rudolf Auf dem Hövel: Jenseits von Minus Null. Die Geschichte der Deutschen Tiefkühlwirtschaft. Deutsches Tiefkühlinstitut, Köln 1979.

Pelzer-Reith, Birgit und Reinhold Reith: Fischkonsum und „Eiweißlücke" im Nationalsozialismus. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1 (2009). S. 4-26.

Spiekermann, Uwe. Twentieth-Century Product Innovations in the German Food Industry. In: Business History Review 2 (2009). S. 291-315.

Teuteberg, Hans J: Zur Geschichte der Kühlkost und des Tiefgefrierens. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte / Journal of Business History 3 (1991). S. 139-155.

Thoms, Ulrike: The Introduction of Frozen Foods in West Germany and Its Intergration into the Daily Diet. In: Kostas Gavroglu (Hg.), History of Artificial Cold. Scientific, Technological and Cultural Issues. Springer, Dordrecht, Heidelberg, New York, London 2014. S. 201-229.

Wildt, Michael: Promise of More. The Rhetoric of (Food) Consumption in a Society Searching for Itself: West Germany in the 1950s. In: Peter Scholliers (Hg.) Food, Drink and Identity. Cooking, Eating and Drinking in Europe since the Middle Ages. Berg, Oxford, New York, 2001. S. 63-80.

 

 

Jensz (230k)

Quellen, Anmerkungen

  1. Heidbrink, Fischverarbeitung/Fischstäbchen, 258. Ich möchte hier Ingo Heidbrink besonders für seine Hinweise zum Thema Fischstäbchen danken.  
  2. Pelzer-Reith und Reith, Fischkonsum und „Eiweißlücke" im Nationalsozialismus, 4-26.  
  3. Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1958/59, o.S.  
  4. Heidbrink, Fischverarbeitung/Fischstäbchen, 256.  
  5. Nicht zu verwechseln mit der in der DDR herausgegebenen Zeitschrift mit gleichem Namen (1946-1962).  
  6. Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1958/59, o.S.  
  7. Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1958/59, o.S.  
  8. Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1961, o.S.  
  9. Die Fischwerbung im Geschäftsjahr 1961, o.S.  
  10. Andersen, Der Traum vom Guten Leben, 58-64.  
  11. Thoms, The Introduction of Frozen Foods in West Germany, 213-214.  
  12. Teuteberg, Zur Geschichte der Kühlkost und des Tiefgefrierens, 154.  
  13. Hilck und Auf dem Hövel, Jenseits von Minus Null, 66.  
  14. Hilck und Auf dem Hövel, Jenseits von Minus Null, 65.  
  15. Spiekermann, Twentieth-Century Product Innovations, 305-312.  
  16. Heidbrink, Beckmann und Keller, ...und heute gibt es Fisch!, 72.  
  17. Wildt, Promise of More, 75.  
  18. Andersen, Der Traum von Guten Leben, 34-89.  
  19. Wildt, Promise of More, 71-72.  
  20. Wildt, Promise of More, 78.  
  21. Vgl. Brigitte, 5 April 1960, 79 und 89.  
  22. Wildt, Promise of More, 70.  
  23. Ranking der beliebtesten Tiefkühlprodukte (Verwendung mindestens mehrmals im Monat) in Deutschland in den Jahren 2013 bis 2016), Statistica 2016 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/171669/umfrage/mehrmals-im-monat-verwendetetiefkuehlprodukte (1. Juli 2017).  
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