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Hedonismus. Luxuriöse Askese?

Ute von MAURNBÖCK-MOSSER.   

Den Versuch nach Genuss zu streben: das bedeutet, dass man versucht aus dem vorliegen-den Angebot für sich das richtige zu wählen und nicht von vornherein das nächstliegende Genussvolle zu konsumieren.

Um tatsächlich hedonistisch zu leben, braucht es Selbstreflexion und Bildung.

Jetzt geht es um die Suche nach dem Sinn. Sinn, der in einer durchgetakteten Konsum- und Arbeitswelt oft erst mühsam für sich gefunden werden will. Vor allem, wenn ein sinnreicher und sinnvoller Genuss nicht zu kurz kommen soll.

 

Es gibt sie noch, die Hedonisten im heutigen Sinne. Das Auto stand am Beginn der beruflichen Laufbahn von Helmut Gansterer. Als Motorkonstrukteur hätte er - nach absolvierter Ausbildung - arbeiten können, studierte dann aber noch Wirtschaft, stieg über die Hochschulzeitung in den Journalismus ein - und schreibt bis heute in der „Autorevue" enthusiastisch über die Herzensangelegenheit Fortbewegungsmittel.

Es erlaubt uns, sich individuell zu bewegen auch aus Zeitgründen ...,  sonst bis Du fix an die Abfahrtszeiten von Öffis gebunden, brauchst von dort auch noch Taxis. Da bin ich  erst draufgekommen, wie viel Zeit ich verloren hätte, wenn es Autos nicht gäbe. Ich wäre nie mit meinen Faltsesseln und -tischen in die Wälder gekommen, wo ich so gern schreib, meist natürlich neben einem offenen Cabriolet. Alle Leut, die mich sehen, Schreibmaschine mit Sektkübel, tippen sich aufs Hirn. Da hab noch dazu gelernt, gleichmütig zu werden gegenüber den Reaktionen der Umwelt.

Was er so schreibt, soll hier nicht fehlen:

„Ein Einser-Darling: das Einser-Cabrio. Ein BMW-Meisterstück. Bis dahin galt als undenkbar, das Motto ‚Freude am Fahren' ins Souterrain der Kompakten zu verpflanzen. Man kriegt dieses Cabrio beliebig sparsam und beliebig wild, von 143 bis 306 PS. Hauptvorzug: der Heckantrieb. Ich bin nicht sachverständig genug, dessen Zauber technisch zu erklären. Es mag mit idealer, horizontaler Gewichts-Waage zu tun haben; mit einer Entkoppelung von Lenkung und Antrieb; mit einem Anschieben statt dem agrarisch bewährten Hinterherziehen der Fronttriebler. Der Einser läuft aus der flachen Hand, wie reibungslos."

 

Mit seinen Artikeln vermittelt Phil Waldeck, wie Helmut Gansterers Alter Ego im Print heißt, Sattheit und Freude am Leben:

Ja, mir ist fast nix wurscht ..., ich such in fast allen Dingen das Schöne oder für mich Wärmende, weil ich glaube, dass man sich vor der Todesangst vor allem dadurch befreien kann, dass man jeden Tag für sich abschließt. Das Gefühl, ich hätte eh ein klasses Leben, wenn du nicht mit zu vielen losen Fäden in die Zukunft schaust, indem du schaust, dass du das, was du an dem Tag so gut machst und dass es gut war, ... wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei.

 

Was bedeutet Genuss für ihn?

Ich bin schon sehr zufrieden, wenn ich zufrieden bin. Glück darf nicht inflationär ins Leben treten. Es ist also zunächst eine physische Reaktion, eine körperliche bewusste Wärme, wie kleines kreatives Kind durch die Nase schnauft, wie Kind, das zeichnet, das gebannt ist von dieser Aufgabe ... Eine Alltagslust, die ich zu maximieren versuche.

So kommt auch sein guter Rat daher:

Mein Tipp für die Auto-PR-Manager, darunter manche Freunde: Reißt das Ruder herum, ehe es Euch niederreißt. Ihr seid mitschuldig am oft unfrohen, nebeligen Erscheinungsbild des Autos. Selbst Testautos werden von Euch meist mausgrau angeliefert, als Perversion des heutigen Sparzwangs der Autohersteller.

 

Bedeuten die kleinen, feinen Dinge für Helmut Gansterer den Quell seines Hedonismus, braucht es für die Psychologin und Sinnforscherin Tatjana Schnell von der Universität Innsbruck Sinn als Ursache für ein nachhaltiges Glücksgefühl. Das erfordert mitunter Anstrengung: Der leichte Weg zum sinnlichen Genuss vermeidet kurzfristig zwar Unlust, die Lust vergeht allerdings auch rasch wieder.

Das nennen wir die „hedonistische Tretmühle": Nach einem schönen Ereignis, Wohlgefühl, kommt man schnell wieder auf das Level wie vorher. Darum ist man ständig auf der Suche, diese besonders schönen Erfahrungen zu machen. Anders ist es, wenn man sich in solchen Entscheidungen daran orientiert, was man eigentlich besser oder richtiger finden würde, auch wenn es anstrengender wäre. Das führt dazu, dass ich Autonomie lebe, führt dazu, dass ich Neues lernen kann, was mit Kompetenz einhergeht, was auch starke Befriedigung ermöglicht.

 

Wer kennt es nicht: die Frage Fernsehabend mit Keksen und Wein - oder Sport treiben? Studien haben gezeigt, dass sich Menschen, die sich für den naheliegenden Fernsehabend entscheiden, danach nicht glücklich fühlen - diejenigen, die den inneren Schweinehund überwinden konnten, schon.

Wie für den Körper braucht es auch für den Geist, die Seele, das Gewissen nachhaltige Sinnfindung. Leben wir heute in der westlichen Welt hedonistisch? Oder sind wir, in unserer westlichen Welt, die gemessen am ökologischen Fußabdruck drei bis vier Planeten bräuchte, um das gewohnte Leben fortzusetzen; in der Jeder und Jede umgerechnet auf die konsumierten Güter 30 bis 40 Versklavte ausbeutet, nur eine Karikatur davon? Die Art, wie Wohlstand definiert wird, ist ausschlaggebend. Materieller Reichtum und Glücksempfinden - das haben Studien gezeigt - laufen anfangs parallel, ab einem gewissen Reichtum sind Wohlstand und Glück voneinander entkoppelt.

Für den Philosophen Robert Pfaller braucht es Erlebnisse jenseits des Konsumismus. Für ihn gehört etwa das Teilen des Glücks unbedingt zu einem hedonistischen Grundverständnis.

Eine bestimmte neoliberale Ideologie versucht uns weiszumachen, dass wir dann am glücklichsten sind, wenn wir unseren eigenen Wünschen folgen, wir als Hedonisten müssen aber erkennen, dass unsere eigenen Wünsche uns von aller Lust fernhalten, weil die Lust eben viele ungute Dimensionen mit sich bringt. Deshalb brauchen wir um der Lust willen immer etwas Allgemeines, brauchen eine Allmende, ein Terrain, auf dem wir uns mit anderen treffen können, wo wir die Lust feiern können, die keiner von uns allein gewollt hätte.

 

Wer heute im Arbeitsleben steht, soll Lust für sein Tun empfinden. Dann darf er oder sie im Umkehrschluss nicht nur die Arbeit, sondern auch die verdiente Freizeit genießen. Die wird oftmals dazu genützt, sich wieder fürs Arbeitsleben zu erholen.

Wie arbeitende Menschen mit dem Hedonismus umgehen, wie sie ihn verstehen, ist unterschiedlich, sagt der Schriftsteller Franz Schuh.

Die Einen haben gern hart gearbeitet und erinnern sich gern an die Härte, weil es intensiv war. Die Anderen haben sich von dieser Härte vergewaltigt gefühlt. Wie immer man das sieht, es gibt keine gesellschaftlich garantierte Möglichkeit zum hedonistischen Leben. Was es gibt, ist offenkundig eine große Überbaukultur und Anstrengung im Überbau, Leute vorzuzeigen, die vermeintlich oder tatsächlich hedonistisch leben. Interessant sind Sendungen im Privat-TV, wo sehr reiche Leute, die aber unfassbar primitiv sind, vorgezeigt werden. Da wird das demokratische Ideal vom Menschen: Alle sind gleich, auf die, die von der Ungleichheit extremprofitieren, projiziert. Da sieht man plötzlich, wie hedonistisch die Reichen leben, aber der Neidfaktor wird heruntergedreht, indem man sieht: Die sind primitiv, aber wie!

 

Epikur folgend schrieb der deutsche Philosoph Bernulf Kanitscheider, Verfasser des „Hedonistischen Manifests": Der Zielpunkt ist ein gelungenes Leben - man hat nur das eine, da soll man das Beste daraus machen.

Das gelungene Leben: wie kann das aussehen? Solch ein Leben in einer durchgetakteten Arbeitswelt, in der Arbeitsstunden und Freizeit, Urlaub und Weiterbildung, Wochenenden und Krankenstände zum selbstverständlichen Vokabular gehören, in der diese Trennungen aber nicht funktionieren und immer mehr verschwimmen.

Epikur wäre sicher ein Anhänger des Grundeinkommens, ist Patrick Schuchter überzeugt.

Dass man die Existenzberechtigung und das Vollrecht Staatsbürger zu sein an Erwerbseinkommen knüpft, wäre aus epikureischer Sicht völlig falsch. Jeder sollte die Möglichkeit haben, elementar zu existieren und sich nicht schlecht zu fühlen. Was teilen wir Menschen alle? Wir wollen ernährt, gewärmt sein und brauchen andere. Insofern würde es auch Sinn machen, das Elementare Allen zur Verfügung zu stellen und nicht an Erwerbseinkommen zu knüpfen, oder diesen starken Stellenwert, den Arbeit hat.

 

Erwerbsarbeit wohlgemerkt, denn Arbeit, die in Pflegeberufen, der Kleidungsindustrie, dem Lebensmittelbereich getätigt und häufig von Frauen entwickelt und ausgeübt wird, ist schlecht bezahlt. Als Beispiel nennt Patrick Schuchter die 24 Stunden-Betreuung.

Aber das ist massiv Arbeit! Das nicht als Arbeit zu sehen, das muss man hinterfragen. Es ist doch völlig absurd 60 Stunden zu arbeiten! Warum sollten wir das tun? Wir haben so eine technische Hochentwicklung, wir müssen die Organisation der Gesellschaft und des Sozialen nicht nur um die Arbeit und Wirtschaft herum organisieren. Das macht schon lange keinen Sinn mehr.

 

Work-Life-Balance, Freude im Job, ein angemessenes Gehalt: Der Österreichische Arbeitsklimaindex ist ein Messinstrument, mit dem seit 1996 die Zufriedenheit am Arbeitsplatz nach unterschiedlichen Kriterien abgefragt wird.

Wie zufrieden sind Sie mit Ansehen Ihres Unternehmens, mit Ihrem Einkommen, mit Weiterbildung innerhalb Ihres Unternehmens, leiden Sie unter Zeitdruck? -  das sind einige der Fragen, die gestellt werden.

Bernhard Mader ist Referent in der Arbeiterkammer OÖ und betreut den österreichischen Arbeitsklimaindex. Er erklärt, unter welchen Umständen Menschen hedonistisch arbeiten.

Ganz spannend finde ich das Erklärungsmodell von Robert Karasek, das Anforderungskontrollmodell. Es gibt Anforderungen: Stress, Intensität, Belastung, Druck, aber auch Arbeitsautonomie, Handlungsspielraum, Ressourcen, die ich einsetzen kann, um den Arbeitsalltag zu bewältigen. Wenn beides zusammenpasst, kann ich zufrieden sein, sehe Sinn und gibt keinen überbordenden Druck.

 

Trotz geringen Einkommens zeigen sich Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergärten und an Schulen als besonders zufrieden. Sie erleben ihre Arbeit als sinnvoll. Am anderen Ende der Skala stehen Reinigungskräfte: sie haben wenig Handlungsspielraum, empfinden ihre Arbeit als wenig sinnvoll und verdienen schlecht. Je weiter die Schere zwischen Einkommen aber auch dem Erleben seiner Tätigkeit auseinandergeht, umso mehr Ungleichheit besteht, desto unzufriedener ist die Arbeitsgesellschaft, sagt die Psychologin Tatjana Schnell.

Das wissen wir aus der Wohlbefindensforschung. In Ländern, wo wenig Ungleichheit herrscht ist das Wohlbefinden höher. Es gibt einen Zusammenhang mit Sinn, der Möglichkeit, Genuss zu erlernen; ich habe auch in Peru geforscht, dort ist die Sinnerfüllung weiter verbreitet, weniger Menschen weisen dies diese indifferente Haltung auf, auch in Bulgarien. Das gilt als das ärmste Land Europas, aber es ist klarer, was man mit seinem Leben anfangen will oder wo man hin will oder hin muss.

 

Selbstentfaltung und Sinnfindung durch die Arbeit wird dennoch immer wichtiger: dass man sich am Arbeitsplatz auch für die Belange anderer einsetzt oder für sich Gestaltungsmöglichkeiten sieht. Wunschdenken oder eine realistische Möglichkeit für Viele?

 

Der Schriftsteller Franz Schuh:

Eine der wesentlichen Sachen in unserer Gesellschaft ist, dass von irgendwoher die Kraft kommen muss, um die gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können. Es ist also nur logisch, Freiräume zu organisieren, wo man die Kraft tanken kann, um sich konform verhalten zu können. Das ist in Ordnung, weil es ja genug Gesellschaften gab, die solche Freiräume nicht hatten. Eine Versklavung derer, die in allen Gesellschaften unter Ungleichheit leiden müssen, ist überall da. Dass man hedonistische Räume einräumt, damit sich die Leute einbilden können, hier bin ich nach 17 h frei, halte ich für eine humanitäre Leistung, solange es eine Hilfe dafür ist, das Notwendige tun zu können.

 

Wir stehen heute unter gewaltigem Druck. Die technischen und gesellschaftlichen Belastungen haben auch die Wünsche und Anforderungen an die Arbeitswelt verändert, sagt Bernhard Mader von der oberösterreichischen Arbeiterkammer.

Wir haben einen Stress durch die Digitalisierung, durch ständige Erreichbarkeit, durch Verdichtung am Arbeitsplatz. Fast jeder Dritte muss am Wochenende arbeiten. Viele geben an, dass sie im Urlaub oder in der Freizeit erreichbar sein müssen. Dagegen ist die Unfallhäufigkeit stark gesunken, weil die körperlichen Tätigkeiten weniger werden. Dagegen aber nimmt der psychische Druck zu. Zeitstress und die Entgrenzung drängen stärker ins Privatleben.

 

Dass Menschen nicht einfach nur Geld verdienen wollen, hängt mit ihrem Wunsch zusammen sich persönlich weiterzuentwickeln und darüber hinaus mit der zunehmenden Komplexität in der Gesellschaft, glaubt Bernhard Mader. Das zeigt sich daran, wie unterschiedlich das Konzept des Hedonismus in der Arbeit in verschiedenen Kulturen gelebt wird.

Während wir in Österreich eher Konzepte der Zufriedenheit und Duldung von Arbeit haben, existiert in Japan der Trend, dass Menschen so lange arbeiten, bis sie im Büro schlafen oder der Schlaf zu Mittag am Arbeitsplatz so gesehen wird, dass man besonders fleißig ist. Es gibt die enge Bindung an den Arbeitsgeber, die Arbeit dominiert. In Amerika sehen wir die Vorstellung, dass Leistung prägt, sich Menschen durch Arbeit und Karriere definieren. Es ist spannend, wie unterschiedliche Kulturen Spaß und Lust am Arbeiten definieren und ausleben.

 

Heute 20jährige planen ihre Zukunft weit weniger genau als es ihre Eltern oder Großeltern in diesem Alter getan haben. Das Sicherheitsdenken hat sich ob der generellen Unsicherheit verändert. Zudem ändern sich Ausbildungsangebot und Arbeitsmarkt rasant. In Forschungen zeigt sich, dass sinnvolle Arbeit von jungen Leuten nicht als Luxus, sondern als etwas Grundlegendes gesehen wird, sagt die Psychologin, Tatjana Schnell.

Wer glücklich mit seinem beruflichen Tun ist, wird im Allgemeinen wertgeschätzt, fühlt sich zugehörig, tut, was zu ihm oder ihr passt. Alles wichtige Punkte für die Generation Y, also diejenigen, die etwa zwischen 1980 und 2000 geboren wurden.

Die sogenannte Generation Y, das sind junge Menschen, die genau wissen, was sie wollen. Sie sind spaß- und zugleich sinnorientiert; sie stellen Ansprüche an Jobs. Das ist gut, weil es die Arbeitgeber zwingt, sich zu überlegen, was sie mit ihrem Unternehmen erreichen wollen. Es geht nicht mehr so um Status und monetäre Entlohnung, sondern hauptsächlich darum, was ich sinnvoll finde und woran ich Spaß habe. Das war in früheren Generationen nicht so, was daran liegt, dass wir eine unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten haben, aber zugleich damit den Zwang, selbst zu entscheiden, was ich wählen soll. Es hätte ja auch besser oder anders sein können. Dadurch steigen die Ansprüche, auch weil anscheinend Welt so offen steht, wie sie es dann letztendlich gar nicht tut.

Maurnboeck-Mosser4 (64k)

Foto: Pexels https://www.pexels.com/photo/green-wooden-chair-on-white-surface-963486/