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Allesfresser

Der Mensch zählt zu den Allesfressern. Im Grunde kann er das ganze Nahrungsmittelspektrum nützen. Das hängt mit seiner Abstammung zusammen, auf die hier einzugehen nicht nötig ist;

auch seine nächsten Artverwandten unter den Säugetieren, die Schimpansen, fressen sowohl Fleisch (andere Schimpansen) als auch Pflanzen. Das etwas weiter entfernt stehende Schwein gehört dazu - immerhin noch so nahe, dass einmal daran gedacht wurde, ein abgenutztes menschliches Herz durch ein schweinernes zu ersetzen. Auch dieses frisst alles, zur Not auch seinesgleichen. Hier liegt kaum ein Unterschied, ebenso wenig im Benehmen, wo seit dem späten Mittelalter - so generell wie erfolglos - gefordert wurde, den Rüssel nicht gierig in den Trog zu stecken. Allerdings schlecken Schweine - nachweislich - keine Messer ab.

Die Allesfresserei ermöglichte die Anpassung an die unterschiedlichsten Milieus und deren Nahrungsangebote, von den Savannen zu den Steppen bis in die germanischen Wälder und von Insekten über Schlangen bis hin zur Currywurst. Das sicherte das Überleben in unterschiedlichen Zeiten und Versorgungslagen.

Die Auswahl der Nahrungsmittel resultiert demnach aus dem vorhandenen Angebot und dessen Nährwert. Wo es nur Heuschrecken gibt, werden diese in größeren Mengen verzehrt, das gilt auch für Hamburger. Sind größere Fleischlieferanten vorhanden, wie Büffel oder Tunfische, werden diese dafür ausgerottet. Früher wurde von den Tieren alles gegessen: vom Kopf samt Hirn bis zur Schwanzspitze. Diese vordem allgemein verbreitete löbliche Haltung bewahren heute nur noch die Chinesen, die wohl noch als letzte insgesamt die Fahne der Allesfresserei hochhalten und es somit zu einer äußerst hochstehenden und -kultivierten Küche brachten. Das kam daher, weil die Versorgungslage prekär war - Hunger als Koch. Darum erschien Fleisch nur äußerst selten, wenn überhaupt an Fest- und Feiertagen, auf dem Tisch. Man behalf sich im Okzident mit Schnecken und Fröschen, die von den damaligen oberen Schichten perhorresziert wurden; auch Fluss- und Bachkrebse zählten dazu. Alle diese erlebten den Aufstieg mitsamt anderen Vertretern der proletarischen Klasse, exemplarisch sichtbar etwa an Vorständen der Autoindustrie; alle diese species hielten sich dann doch nicht auf Dauer auf dem haut level.

Wenn der Mensch alles fressen kann, es aber in bestimmten Kulturen nicht tut, dann spielen, neben der Versorgungslage, gesellschaftliche Vorstellungen eine große Rolle, die oft als (religiöse) Tabus auftreten. Die Wissenschaft hat sich damit auseinandergesetzt und diverse Erklärungen geliefert: von eher eingängigen bis zu unverdaulichen - von materialistischen („Keine Milchkühe schlachten!") über idealistische („Nicht daran zu denken!") bis zu semiotischen („Paarhufer nicht im gesellschaftlichen Zeichensystem vorhanden").

Beim grenzenlosen Appetit der Allesfresser steht zu befürchten, dass alles, was kreucht und fleucht und schwimmt, endlich verzehrt wird. Das kann man als Rache eines Geschöpfes sehen, das über die längsten Zeiten hin selbst zum Opfer anderer Fleischfresser gehörte und dem irgendwann, Zahn um Zahn, diese selbst zum Opfer fallen. Ob dann in der Not wieder einmal seinesgleichen auf den Tisch kommt, gehört in ein anderes Lemma (-> Menschenfresserei, Kannibalismus).

LK